Kein Durchkommen an Magdeburger Baustelle
Bei Einsatz am Rebenweg muss Notarzt über Gartenzäune springenKollaps im Chaos: Patientin gerät in Not
Mehrfach haben Anwohner von Kirsch-, Reben-, und Quittenweg auf die fehlenden Rettungstraßen bei der Großbaustelle vor ihren Haustüren hingewiesen. Anfang dieser Woche ist passiert, was viele befürchtet haben. Bei einem Rettungseinsatz mussten Sanitäter den Wagen stehen lassen und zu Fuß über Zäune steigen, durch Vorgärten und Pfützen hetzen.
Die Magdeburger Verkehrsbetriebe sind Bauherr der Baustelle Gleisschleife. Wenn alles mal fertig ist, wird es im Rebenweg nur noch ein Gleis geben und im Quittenweg werden ein Ausstieg saniert und einer neu gebaut - beides barrierefrei. | Foto: Alexander DingerMagdeburg l Für Rettungssanitäter ist es der schlimmste anzunehmende Fall: Die Zeit drängt, der Einsatzort ist nicht erreichbar, es liegen keine Informationen vor. So geschehen an diesem Montag, 19.05 Uhr, mitten in Magdeburg. Die Sanitäter werden an den Rebenweg gerufen, eine Frau mit akuten Schwindelanfällen braucht Hilfe, vielleicht ein Kreislaufkollaps.
Vor Ort gibt es für die Einsatzkräfte kein Vorankommen. Auf der einen Seite versperrt ein Sandhaufen die Zufahrt, auf der anderen Seite ein Baustellenfahrzeug. "Der Rettungsassistent hat sich dann entschlossen, es zu Fuß zu probieren", sagt Mario Großmann, Leiter des Malteser-Rettungsdienstes in Magdeburg. In diesem Fall nimmt der Sanitäter den Notfallkoffer mit, wartet vor Ort auf seine Kollegen. "Unser Sanitäter musste über Zäune klettern, um zum Einsatzort zu kommen", sagt Großmann.
Die Frau, der es an diesem Abend nicht gut geht, ist Barbara Lagodny. "Ich bin froh, dass eine Freundin mich beruhigt hat", sagt sie. Die Diagnose, später im Krankenhaus: paroxysmaler Lagerungsschwindel. Eine harmlose, aber äußerst unangenehme Erkrankung. "Was wäre gewesen, wenn ich einen Schlaganfall gehabt hätte?", fragt Lagodny.
Eine berechtigte Frage, sagt Mario Großmann. In ganz Sachsen-Anhalt gilt eine Hilfsfrist von zwölf Minuten. "Die haben wir nicht eingehalten", sagt Großmann. Zwar sagt die Nachfrage der Volksstimme bei der Leitzentrale - die alle Notrufe koordiniert - etwas anderes, aber dafür gibt es laut Großmann eine Erklärung. So geht der Notruf am Montagabend 19.05 Uhr ein, der Rettungswagen ist 19.12 Uhr am Einsatzort. "Leider wird in diesen elektronisch übermittelten Zeiten nicht erfasst, wie lang wir vom Rettungswagen zum Einsatzort brauchen", sagt Großmann. Das werde schriftlich nachgereicht.
Nachfrage der Volksstimme beim Bauherrn, den Magdeburger Verkehrsbetrieben (MVB): "Für alle derzeitigen Aktivitäten existiert eine verkehrsrechtliche Anordnung. Die Baustraße ist als Rettungsweg, nach der täglichen Bauzeit, freizuhalten", sagt MVB-Sprecherin Juliane Kirste. Normalerweise, so Kirste weiter, werde das früh und abends auch kontrolliert. Informationen über so große Vorhaben gehen an Baufirmen, Polizei und Straßenverkehrsbehörde. Auch an die Rettungsdienste sollten die Daten weitergeleitet werden. "Bei uns ist nie etwas angekommen", sagt Großmann.
"Grundsätzlich wird von der Straßenverkehrsbehörde bei der Genehmigung von Baustellensperrungen immer die Auflage erteilt, dass Rettungswege zu gewährleisten sind. Auch im vorliegenden Fall erfolgte diese Auflage", erklärt Stadtsprecher Michael Reif. Für die Einhaltung dieser Vorschriften auf der Baustelle ist der Bauherr oder die von ihm beauftragte Firma verantwortlich.
An besagtem Abend wird Barbara Lagodny schließlich auf einem Stuhl durch den Matsch zum Rettungswagen getragen. Mitte des Jahres hatte auf der anderen Straßenseite ein Mann einen Herzinfarkt. "Wir können froh sein, dass da noch Rettungswege vorhanden waren", sagt Großmann. Sonst wäre man möglicherweise zu spät gekommen. "Ich habe den Vorfall mit der Bauoberleitung und dem beauftragten Unternehmen ausgewertet. Beide werden Vorkehrungen treffen, dass sich dieser Vorfall nicht wiederholen kann", versichert auch MVB-Chefin Birgit Münster-Rendel der Volksstimme.